überspringe Navigation

Nachdem ich etliche Diskussionen über das „Fake Nerd Girl Meme“ gelesen habe und mir in diversen Bekleidungsgeschäften mal wieder T-Shirts mit „Nerd“ und „Geek“ Aufdruck ins Auge stachen, hat sich genügend Wut angesammelt, um darüber einen Blogeintrag zu schreiben.

Ich verstehe die ganze Aufregung nicht. Da sind weibliche Geeks und Nerds, die sich über dieses Meme aufregen, weil sie der Meinung sind, es würde ihre sowieso schon schwere Situation im männerdominiertem Geek-/Nerdtum noch weiter erschweren. Weil Männer sie nicht für voll nehmen. Weil Männer glauben, sie seien keine richtigen Nerds. Und warum die Aufregung? Ganz einfach: Nerd sein ist im Laufe der letzten Jahre cool geworden. Wofür man vor 20 Jahren noch von seinen Klassenkameraden vermöbelt und ausgelacht wurde, ist heute sowas wie ein Gütesiegel.

Als ich in die Pubertät kam, war ich Klassenbeste in Mathe. Ich habe angezogen, was mir gefiel anstatt mir von irgendwelchen Zeitschriften vorschreiben zu lassen, was mir zu gefallen hat. Ich hielt es für übertrieben morgens lange vorm Spiegel zu stehen und habe mich mit etwas Kajal und Mascara begnügt. Ich habe Fantasy-Romane verschlungen und bin auf Herr der Ringe Conventions gefahren. Ich wurde dafür ausgelacht.

Als ich vor einigen Semestern beschloss, mein Nebenfach Geschichte gegen Physik zu tauschen, wurde ich doof angeschaut. Ein Kommilitone meinte damals, ich müsse mir unbedingt „The Big Bang Theory“ anschauen, so als Anglistik und Physik Studentin sollte ich daran eigentlich Spaß haben. Dann kam der Hype. Aber eigentlich war es zu dem Zeitpunkt, wenn man es genau nimmt, schon zu spät.

Irgendwo zwischen diesen beiden Ereignissen, rein zeitlich gesehen, muss es passiert sein. Irgendwann zwischen diesen Ereignissen hat die Modeindustrie einen neuen Trend gesetzt: Geek Chic. Und auf einmal trugen modebewusste junge Männer und Frauen die Art Klamotten, für die die damals abfällig „Nerd“ genannten Menschen Jahre zuvor verspottet und gemieden wurden. T-Shirts wurden bedruckt. Auf den Straßen sah man Jugendliche mit „GEEK“ Aufdruck auf der Brust. Und das Nerdtum wurde, zumindest modetechnisch, gesellschaftsfähig.

Zu dem Zeitpunkt als „The Big Bang Theory“ ihren großen Durchbruch erlebte, waren Nerds schon lange keine Stubenhocker und Eigenbrödler mehr, der Terminus wurde Synonym für ‚modisch up-to-date‘. Und mit der Serie hielten dann auch T-Shirts mit Superheldenmotiven und witzigen Sprüchen Einzug in die Kleiderschränke.

Während früher die Bezeichnungen Nerd und Geek als Beleidigungen und ziemlich abfällig benutzt wurden, sagt heute jede zweite Hollywood-Schauspielerin über sich, dass sie ja ein totaler Nerd sei, weil sie die Star Wars Filme mag. Früher bezeichneten die Begriffe das Gesamtpaket aus unglücklichem Kleidungsstil, Obsessionen für Kinderkram wie Comics oder Randgruppenerscheinungen wie Computer, gepaart mit einer möglichen überdurchschnittlichen Intelligenz und einem gewissen Mangel an Sozialkompetenzen. Während es früher nötig war, die Filme auswendig zu können, Poster im Zimmer und möglicherweise Actionfiguren im Regal stehen zu haben, ein ausgeprägtes Zusatzwissen über Ereignisse, die in den Filmen nicht vorkommen zu haben, reicht es heute offenbar aus, die Filme zu mögen. Das ältere Fans/Nerds/Geeks, die früher ausgelacht wurden, sich heute auf den Schlips getreten fühlen, wenn Jugendliche ankommen und sagen „OHMEINGOTT, ich bin so ein Nerd, ich mag Star Wars.“, dann kann ich Produkte wie das „Fake Nerd Girl Meme“ durchaus nachvollziehen. Das es ausgerechnet ein weibliches Wesen ist, das dafür herhalten muss, ist ungünstig – lässt sich aber damit erklären, dass es eher junge Mädchen und Frauen sind, die sich so inszenieren. An dem Argument „Jeder fängt mal klein an“ ist auch nichts auszusetzen. Darum geht es hier auch nicht. Aber wenn ich jetzt heute anfange Spanisch zu lernen, dann stell ich mich auch nicht übermorgen hin und behaupte, dass ich spanisch spreche.

Da liegt für mich auch der größte Aufreger. Ich wurde damals nicht ausgelacht, weil ich gesagt habe, ich wäre ein Nerd. Die anderen haben das über mich gesagt, aufgrund meines Auftretens und meiner selbst. Und auch wenn sich die Lage gewandelt hat und aus der Beleidung ein Gütesiegel wurde: Gütesiegel gibt man sich nicht selbst, die bekommt man von anderen aufgedrückt. Und wer sich selbst nicht als „Nerd“ oder „Geek“ deklariert, sondern einfach ist, wie er (oder eben sie) ist, dann kommt auch keiner auf die Idee, einen als „Fake“ zu bezeichnen. Denn das größte Problem am ‚Nerd/Geek Dilemma‘ ist eigentlich, dass sich hinter dem Modetrend nichts geändert hat. Doctor Who gucken ist zwar in Mode gekommen und natürlich vorallem in Großbritannien unwahrscheinlich bekannt, wenn du aber anfängst einzelne Folgen zu analysieren und zu vergleichen, wirst du immer noch genauso schräg angeguckt wie früher. Und wenn man auf Partys einem Engländer erklärt, warum die deutsche Sprache für ihn so hart klingt, dass das alles mit den Glottalverschlüssen vor Vokalen zusammen hängt, steht man ganz schnell ohne Gesprächspartner da. Nur so als kleine Beispiele. Und wer bei sowas so großen Wert darauf legt, als Nerd oder Geek bezeichnet zu werden, der sollte sich mal darüber Gedanken machen, ob er oder sie es wirklich nötig hat, sich über so etwas definieren zu müssen. Lest doch einfach weiterhin eure Comics, schaut Fantasyfilme, spielt Pen&Paper Rollenspiele, näht Cosplay Kostüme und vorallem: kümmert euch einen Dreck darum, was andere von euch denken. Denn das ist das, was Nerds schon immer gemacht haben.

Hinterlasse einen Kommentar